Wer ist die Türkische Gemeinde in RLP, seit wann gibt es sie?

Die Türkische Gemeinde RLP ist seit Dezember 2015 aktiv und ist ein gemeinnütziger eingetragener Verein und eine Dachorganisation für Ihre Mitglieder in RLP und Hauptsitz in Koblenz. Der Verein ist in Rheinland- Pfalz der Landesverband, der Türkischen Gemeinde in Deutschland.  Herr Ahmet Günes ist unser Vorsitzender. Ich bin der 1. Stellvertretender Vorsitzender des Verbandes und so wie Herr Günes auch Gründungsmitglied. 

Welche Ziele hat die TGD und tg-rp?

Am 2. Dezember 1995 hat sich die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) mit dem Ziel gegründet, sich in der Öffentlichkeit und gegenüber Politik und Verwaltung für die Belange und Interessen Türkei stämmiger Menschen in Deutschland einzusetzen. 

Genauso ist die tg-rp eine Interessenvertretung türkischstämmiger Deutscher und in Rheinland-Pfalz lebender Türken gegenüber staatlichen Instanzen und der Öffentlichkeit. Wir hoffen, dass wir in Rheinland- Pfalz uns ebenso etablieren können, wie die TGD im Bund. Wir rufen daher alle Personen, Vereine, Interessenverbände und Personengruppen in Rheinland- Pfalz dazu auf, sich mit uns für die Belange der türkischen und übrigen Migranten, für gleiche Teilhabe aller Menschen in Deutschland und gegen Ausgrenzung jeder Art einzusetzen.

Unser Ziel ist eine lebendige Migrationsgesellschaft, in der Vielfalt gelebt wird und die in Institutionen, Politik und Medien sichtbar repräsentiert ist.

Als TGD begreifen wir uns heute als Bestandteil der Demokratie- und Menschenrechtsbewegung in Deutschland. Wir möchten erreichen, dass möglichst viele Menschen Verantwortung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Werte unserer Verfassung übernehmen und sich für eine inklusive Gesellschaft einsetzen. 

Als Schlüssel zu einer erfolgreichen Migrationsgesellschaft und zum Erhalt unserer Demokratie gleichermaßen streben wir Partizipation an und setzen uns für diese ein.

Können Sie uns einige wichtige Projekt und Themenschwerpunkte nennen?

Partizipation, vor allem politische Partizipation ist uns sehr wichtig. Seit Anfang Mai dieses Jahres sind wir Kooperationspartner der Otto-Benecke –Stiftung in dem Projekt “Migrantinnen in die Kommunalpolitik. Wir organisieren in Koblenz für die Migrantinnen oder Deutsche mit Migrationshintergrund Seminare um die Grundkenntnisse der Politik zu vermitteln und sie für die Kommunalpolitik zu motivieren. 

Wir sind sehr aktiv besonders wenn es darum geht gegen jegliche Art von Diskriminierung, gegen rechts-Radikalismus, gegen Antisemitismus und gegen Antidemokratische Strömungen Flagge zu zeigen und entgegenzuwirken. Diese verwirklichen wir in verschiedener Form wie z.B. Kundgebungen, Demonstrationen, Mahnwachen, Veranstaltungen oder durch eine Pressemeldung.

Wir haben uns seit dem Auffliegen der NSU uns intensiv mit dem Thema beschäftigt und den Prozess beobachtet. Letztes Jahr konnten wir mit Nebenklägeranwälten Herrn Mehmet Daimagüler und davor Frau Seda Basay-Yildiz für eine Veranstaltung mit ihren Vorträgen die wichtigsten Referenten gewinnen.  Dieses Jahr haben wir mit unseren Partnern, Referenten der NSU Watch aus Berlin für den 19. Oktober nach Koblenz eingeladen. 

Wie stehen Sie, zum mittlerweile abgeschlossenen NSU Verfahren? Ist er für die TG wirklich abgeschlossen?

Die türkische Gemeinde fühlt sich aufgrund des Ergebnisses des langjährigen Verfahrens betrogen. In einer jüngsten Presseerklärung erklärt Ihr Bundesvorsitzender Sofuoglu , dass er das Urteil gegen Zschäpe zwar begrüßt, doch eine weitere Aufklärung fordert. Wie wird das denn praktisch stattfinden?

Wir begrüßen auch das Urteil gegen Beate Zschäpe aber für uns ist es lange nicht abgeschlossen und fordern weitere Strafverfahren gegen das Unterstützernetzwerk des NSU. Das Ende des NSU-Prozesses darf keinesfalls der Schlussstrich der Aufklärung bedeuten. Die Aufarbeitung der rassistischen Taten der rechtsextremen Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ist auf den Ebenen der Landtage und des Bundestages durch die Untersuchungsausschüsse erfolgt. Es ist aber notwendig der Einrichtung einer Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag, um die Sicherheitsarchitektur unseres Landes zu optimieren.

Die NSU-Verbrechen haben auf 

eklatante Weise vor Augen geführt, dass die Sicherheitsarchitektur unseres Landes auf verschiedenen Ebenen nicht hinnehmbare

Schwächen aufweist.

Schwerwiegende Fehler und Kommunikationslücken bei den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern, Polizei, Landesbehörden für Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaften haben das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger an unseren Rechtsstaat erschüttert. Weitere Schritte für die Bekämpfung von Rechtsextremismus und rechter Gewalt sind nötig. 

Was wird denn bei den folgenden Anklagen und Revisionen anders laufen, was in knapp 5 Jahren und nach der Anhörung von 800 Zeugen so wenig  Aufklärung bewirkt hat?

Es sind aber nicht unbedingt die Zeugen gehört, die teilweise an den Tatorten waren. Die Rolle der Ermittler muss neu ausgearbeitet werden. Warum die Angehörige von Anfang an terrorisiert worden sind, muss genau überprüft werden.  

 

Immer wieder wurde von geschredderten Akten und Beweismitteln gesprochen. Das erschien für unser Rechtsstaatsverständis schon fast surreal. 

Woraus soll man denn beim Fortgang noch Hoffnung schöpfen?  

Wir dürfen die Hoffnung an den Rechtsstaat nicht aufgeben. Nach den vorliegenden Erkenntnissen hat das Gericht aus unserer Sicht sehr gut gearbeitet. Also es liegt nicht an den Gerichten, sondern an den Ermittlern, die dem Gericht nicht einfach gemacht haben. 

Während des Prozesses sind weitere, skurrile Dinge passiert, wie zum Beispiel das reihenweise Wegsterben von Zeugen. Das lockt viele Verschwörungstheoretiker aus Ihren Löchern hervor. 

Sehen Sie das ähnlich, oder haben wir es tatsächlich mit einer Verschwörung zu tun, eine Mitwirkung des tiefen Staates, wie es oft  beschrieben wurde?

Es ist eindeutig das man von einem institutionellen Rassismus sprechen kann. Obwohl die Bundeskanzlerin die lückenlose Aufklärung versprochen hat, haben die Behörden alles Versucht, die lückenlose Aufklärung zu verhindern. 

Gerade die direkten Angehörigen der Opfer ließen Ihre große Enttäuschung über Ihre Anwälte verkünden. Können wir hier von einem Vertrauensbruch zwischen Bürger und Staat sprechen?

NSU Verfahren ist auf jeden Fall einen Vertrauensbruch zwischen BürgerInnen und Sicherheitsbehörden. Aber auch die Politik hat viel versagt. Dazu kommt, dass Organisationen, wie Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Gewerkschaften kein gutes Bild abgegeben haben. Türkeistämmige Organisationen haben die Ernsthaftigkeit der Lage nicht begriffen. Außer der TGD und Landesorganisationen haben die türkischstämmige Organisationen NSU Verfahren von ferne beobachtet. Auch an dem Tag der Urteilsverkündung war das Interesse nicht entsprechend groß. 

Wie ist dieser Vertrauensbruch aufzuarbeiten und wo steht die TGD und tg-rp? 

Wir werden alles daransetzen, dass NSU mit der Urteilsverkündung nicht in Vergessenheit gerät. Dafür werden wir auf Landes- und Bundesebene immer wieder Veranstaltungen organisieren, die Forderungen der Opferfamilien zu unseren Schwerpunkten manchen.  Leider weiß die Öffentlichkeit wenig über die Opfer. Die Opferperspektive werden wir mehr denn je in unserer Arbeit mit berücksichtigen.  

Gibt es denn seitens der Regierung Hinweise darauf, dass hier etwas aufbereitet werden soll? Über die Presse gab es keine hinreichende Aussage in diese Richtung.

Für die Regierung scheint sie Sache mit der Urteilsverkündung abgeschlossen zu sein. Die Öffentlichkeit wartet auf das Ergebnis der Revision. Ein Rechtstaat arbeitet nicht immer schnell, aber hoffentlich gründlich. 

Finden Sie dass sich der deutsche Staat es sich schwer tut, rechten Terror oder versteckte rechte Gefahr als solche zuzuordnen?

Leider hat der Staat seit langem die rechte Gefahr nicht ernst genommen. Auch jetzt diskutiert die Öffentlichkeit lieber über die Taten einiger Asylbewerber als über zunehmende rechte Gefahr. Rechtspopulismus ist in den Parlamenten vertreten. Es gibt aber keine klare Haltung der etablierten Parteien gegenüber dieser Entwicklung. Die Parteien lassen sich von Rechtspopulisten treiben.

Sogar der Einzug der AFD in den Bundestag und viele Landesparlamente, scheint nicht Ausrufezeichen genug zu sein, dass sich im Fundament der Aufklärung etwas ändern muss. Wo sehen Sie im Hinblick auf diese Tatsache die Defizite in der Politik?

Die Politik sollte Lösungsorientiert arbeiten, anstatt hausgemachte Probleme zu diskutieren. In der geflüchteten Politik zeigt Europa genau das Gegenteil von dem, wofür eigentlich Europa steht. Einige Autokraten in der EU geben inzwischen den Ton an. Polen, Ungarn, Österreich und jetzt auch Italien versuchen, die europäischen Werte anders zu formulieren. Diese populistische Haltung findet leider auch in Deutschland große Zustimmung. 

Wollen sie noch ein paar Sätze zu der Rolle und das Verhalten der Medien bei diesem Prozess loswerden?

Deutsche Medien hat aus unserer Sicht NSU Verfahren nur am Anfang und an bestimmten Jahrestagen zum Schwerpunkt gemacht. Viele Journalisten, die unermüdlich recherchiert haben, haben keinen Plattform gefunden ihre Ergebnisse zu veröffentlichen. Einige schreiben inzwischen Bücher.  Alternative Gruppen wie NSU -Watch, etc. haben versucht immer wieder aus dem Prozess zu berichten, was leider nur in den sozialen Medien zu sehen war.  

Wir sind ja regelrecht aus einem Informationszeitalter in ein Desinformationszeitalter abgestiegen. Haben Sie das auch hier so empfunden?

Ja, genauso haben wir es auch empfunden. 

Was ganz wichtig für unsere Bürger mit türkischem Migrationshintergrund ist, ist das bescheidene Interesse türkischer Medien an dem Prozess. 

Kann man hier von Desinteresse sprechen? Interessiert sich die Türkei nicht für hiesige Probleme?

Die Türken in Deutschland sind in den letzten Jahren sehr politisiert. Doch die Ausrichtung des Interesses war nicht Richtung Deutschland.

Die politische Lage in der Türkei war für viele wichtiger als ihr Alltag in Deutschland.

In diesem Zusammenhang ist NSU Verfahren auch völlig in Vergessenheit geraten. Hier muss sich die türkische Öffentlichkeit eine selbstkritische Analyse machen.  

In unserer letzten Ausgabe haben wir den Fall Mesut Özil behandelt.

Sehen Sie parallelen im Umgang mit dem NSU Fall? 

Parallelen im Umgang nicht direkt aber aus welchem Grund auch immer es war deutlich zu erkennen dass eine Türkenfeindliche Stimmung in der Gesellschaft verbreitet wurde. Sei es durch einige Medien,  in Soziale Netzwerke und vor allem durch populistische Aussagen einiger Politiker und Prominente von denen man es nie gedacht hat, dass die solche Aussagen machen würden. 

Aus meiner Sicht wird seitens der Politik und Medien eine Polarisierung in der hiesigen Gesellschaft, mindestens in Kauf genommen, wenn nicht provoziert. 

Das zeigte auch der Özil Fall. Wie kritisch betrachten Sie das, oder sind Sie anderer Meinung?

Wie schon erwähnt, nicht von allen aber leider von genügend einer Anzahl der Medien und Politikern, sei es bewusst oder unbewusst wurde dieser Fall benutzt um zu polarisieren und viele deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund sind zum Nachdenken gebracht. Sogar in einer Ecke gedrängt zur einer Entscheidung. Wo ist eure Heimat? Die Einstellung; „er spielt in der deutschen Nationalmannschaft aber singt die Nationalhymne nicht. „ ist gefährlich und schürt ebenfalls Hass und Fremdenfeindlichkeit.  

Was möchten Sie unseren Lesern noch abschließend mitteilen?

Vielen Dank erstmal, dass Sie uns die Möglichkeit gegeben haben. Wir, die TGD und Landesverbände hatten 2017 unser Bundeskongress unter dem Motto „Vielfalt leben, Deutschland gemeinsam gestalten“ durchgeführt. Ja, an der Gestaltung dieses Landes müssen wir unsere Kräfte bündeln. Wir müssen mehr Partizipation wagen. 

Herzlichen Dank für das Interview.

Das Interview führte 

Inanc Armitli

 

 

 

Serkan Genc

*Januar 1972 in Krefeld

lebt seit Mai 1996 in Koblenz

Studierte Germanistik auf Lehramt an der Universität Cukurova

in Adana, Türkei und an der 

Universität Koblenz-Landau

Deutsch/ Geschichte/

Politikwissenschaft auf Lehramt

Seit 2007 Selbstständig im Bereich Immobilien, Finanzen und 

Versicherungen

Seit 2015 Vorsitzender des Beirates für Migration und Integration Koblenz

Sprecher Arbeitsgruppe Türkischer Migranten (ATM)

tg-rp: 1. stv. Vorsitzender

Europäisch-Türkische Unternehmergemeinschaft (ETUG):

Gründungsmitglied

Mitglied (Prüfkommision) im Bundesvorstand der TGD

AGARP (Arbeitsgemeinschaft der ausländischen Beiräte in RLP):

Vorsitzender

SPD Mitglied