Nasen werden begradigt, verkleinert oder gar modelliert, Falten werden weggespritzt, Gesichter glattgezogen, das fliehende Kinn wird eingefangen und aufgepolstert, gemütliche Bäuche werden abgesaugt, Zahnlücken werden geschlossen und auf die schiefe Bahn geratene Hauer zurechtgerückt, die einen Haare werden verpflanzt während anderen mit Lasern auf die Pelle gerückt wird, um sie für immer zu vertreiben…alles muss perfekt sein, (Schönheits-)Fehler sind ein Makel. Seit wann ist das so? Ist nicht Madonnas Zahnlücke die Imperfektion, die sie erst vollkommen macht? Vermisst Ihr nicht Jürgen Vogels einzigartiges Kraut-und Rübengrinsen? Warum muss alles optimiert werden? Warum muss alles glattgebügelt und alle Ecken abgeschliffen werden? Brauchen wir nicht alle hin und wieder eine Kante, an der wir uns festhalten, an der wir hängenbleiben können? Warum wollen wir alles kontrollieren, den Lauf der Welt bis ins kleinste Detail bestimmen und all das zudem mit immer absurderen Versicherungen absichern? An welcher Stelle haben wir verlernt, dass diese kleinen oder größeren Unebenheiten des Lebens einen ganz eigenen Charme haben und uns, im Nachhinein betrachtet, oft zu ganz neuen Erkenntnissen oder Abenteuern umgeleitet haben? Lieben wir nicht jene Geschichten am meisten, in denen ein Held über eine Ungerechtigkeit stürzt, um sich dann gegen alle Widrigkeiten zurückzukämpfen? Ohne Asche kein Phönix! Erzählen Narben nicht die besten Geschichten? Ist es nicht fantastisch, wenn es Interpretationsspielraum gibt und man leidenschaftlich über ein Bild oder ein Gedicht diskutieren kann, weil jeder etwas anderes darin sieht, erkennt oder wiederentdeckt? Haben wir nicht alle aus Fehlern mehr gelernt als aus Büchern? Was haben wir womöglich alles verpasst, seit uns Navigationsgeräte ohne Umwege ans Ziel führen? Warum dürfen Lebensläufe keine „Leerstellen“ haben, obwohl diese doch oft viel charakterbildender sind als so manches Praktikum, in denen man nur als billige Arbeitskraft ausgebeutet wurde? Hat das Wembleytor, welches natürlich gar keines war, nicht Generationen von Engländern und Deutschen ein wesentlich besseres Thema als das Wetter beschert, um ins Gespräch zu kommen? Wenn alles aalglatt ist, kann keine Reibung entstehen und ohne Reibung gibt es keine Energie…was mich zur alles entscheidenden Frage führt:
Warum zum Teufel brauchen wir einen Videoschiedsrichter???
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